Sonntag, 24. April 2011

Der leise Tod

Marlen Haushofers bekanntestes Werk "Die Wand" ist schon mehrmals besprochen worden. Hat sich dabei aber schon einmal jemand über die Geräusche in diesem Buch Gedanken gemacht? Ich schätze nicht und werde es daher hier versuchen.

In "Die Wand" spielen Geräusche eine zentrale Rolle. Das Rauschen des Windes, der tropfende Regen, Sturm, Gewitter, das Bellen des Hundes, etc. All diese Geräusche werden aufgeschrieben, analysiert und gedeutet. Für das Überleben der Protagonistin sind sie lebenswichtig. Regen bedeutet Wachstum, genauso wie Sonnenschein. Ein Sturm kann die Jagdhütte zerstören oder die Bohnen umknicken. Bellt der Hund, so könnte Gefahr drohen und das Schnurren der Katze sorgt für Beruhigung. Da alle menschlich erzeugten Geräusche wegfallen, ist die Protagonistin auf die Geräusche ihrer Tiere und die der Natur abhängig. Die Wand sorgt nicht nur für eine Abschirmung von der Welt, sondern auch für einen kompletten Geräuschstillstand.

Die zentrale Szene jedoch, die die Protagonistin Stier und den Hund verlieren lässt, geschieht in Stille:
Gegen fünf Uhr erreichte ich die Alm. Plötzlich, ich konnte die Hütte noch gar nicht richtig sehen, stutzte Luchs und rannte dann mit wütendem Gebell über die Wiese. Ich hatte ihn noch nie auf diese Weise bellen gehört, grollend und haßerfüllt. Ich wußte sofort, daß etwas Schreckliches geschehen war. Als die Hütte mir nicht mehr die Sicht verdeckte, sah ich es. Ein Mensch, ein fremder Mann stand auf der Weide, und vor ihm lag Stier. Ich konnte sehen, daß er tot war, ein riesiger graubrauner Hügel. Luchs sprang den Mann an und schnappte nach seiner Kehle. Ich pfiff ihn gellend zurück, und er gehorchte und blieb grollend und mit gesträubtem Fell vor dem Fremden stehen. Ich stürzte in die Hütte und riß das Gewehr von der Wand. Es dauerte ein paar Sekunden, aber diese paar Sekunden kosteten Luchs das Leben. Warum konnte ich nicht schneller laufen? Noch während ich auf die Wiese rannte, sah ich das Aufblitzen des Beils und hörte es dumpf auf Luchs' Schädel aufschlagen.
(Marlen Haushofer: Die Wand. Berlin: List, 2010. S. 272)

Die einzigen Geräusche sind das Bellen des Hundes, der Pfiff und der dumpfe Aufschlag des Beils. Die restlichen Töne werden komplett ausgeblendet und dringen nicht in die Wahrnehmung der Protagonistin ein. Die Welt der Protagonistin versinkt im Schweigen angesichts dieser Tragödie.
Interessant ist auch, dass im Roman diese Tragödie immer wieder angedeutet wird. Die Auswirkungen sind viel heftiger als die oben zitierte Szene vermuten lässt, die aufgrund ihrer Knappheit und Stille sich vom restlichen Text abhebt.

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