Sonntag, 27. März 2011

Sprache weiblich gedacht

Ich verwende Sprache, also bin ich Mensch – so könnte eine mögliche Definition des menschlichen Daseins lauten. Sprache in geschriebener und gesprochener Form ist das wichtigste Kommunikationsmittel des Menschen und ermöglicht in Interaktion mit anderen Menschen zu treten. Die Verwendung von Sprache ist jedoch kein neutraler Vorgang, sondern beinhaltet Ausschlüsse, Wertungen und Hierarchien. Diese zu analysieren, zu kritisieren und zu dekonstruieren ist das zentrale Anliegen der feministischen Linguistin Luise F. Pusch. Mit ihrem Aufsatz „Frauen entpatrifizieren die Sprache. Feminisierungstendenzen im heutigen Deutsch“ aus dem Jahr 1983 liefert sie ein en Überblick über feministische Sprachverwendung lange bevor die Diskussion des Binnen-Is und gendergerechter Sprache den deutschsprachigen Raum vollkommen erreicht hat.

Puschs zentrale Feststellung ist, dass in der patriarchalen Kultur das Weibliche als zweitrangig gewertet wird und dies vor allem in der Sprache zum Ausdruck kommt. (S. 76). Die Maskulinisierung der Sprache hat zur Folge, dass Frauen auf den zweiten Rang verwiesen werden. Sie gelten automatisch als mit gemeint, sind aber doch sprachlich nicht vorhanden. Besonders deutlich wird dies an dem, Wort „Mensch“. Der Mensch ist automatisch ein „er“, keine „sie“. In anderen Sprachen ist sogar „Mensch“ gleichbedeutend mit „Mann“, wie im italienischen „uomo“, englischen „man“, französischen „homme“ und spanischen „hombre“ (S. 82).

Eine Umkehrung dieser patriarchalen Sprachstruktur ruft das Gefühl der Beleidigung hervor, denn die Feminisierung eines Mannes ist gleichbedeutend mit seiner Deklassierung (S.78). Mann erlebt dann selbst wie es ist nicht mit gemeint zu sein und fühlt sich in seiner Herrschaftsrolle beschnitten.
Sprachliche Umkehrung findet aber nicht nur auf diese Art und Weise statt, sondern auch durch zunehmende Verwendung von Feminisierungen. Mit ihrer Analyse von verschiedenen Quellen – Emma, Courage, Spiegel – zeigt Pusch die verschiedenen kreativen Möglichkeiten zur Sichtbarmachung von Frauen in und durch die Sprache.
Die wohl einfachste Möglichkeit ist die Verwendung des Suffix –in, das an maskuline Nomen angehängt wird. Puschs Beispiele dafür erscheinen aus heutiger Sicht zum Schmunzeln, sind doch Worte wie „Soldatin“ oder „Diplom-Kauffrau“ längst im deutschen Wortschatz aufgenommen und gesellschaftlich akzeptiert worden. In den 1980er Jahren jedoch hat dieser sprachliche Wandel eine breite Diskussion ausgelöst.
Schwieriger verhält es sich mit der Verwendung von „frau“ statt „man“ oder „jemand, die“. Diese kreativen und produktiven Sprachneuerungen werden bis heute fast nur in feministischen Kreisen verwendet und lösen eher Kopfschütteln denn Akzeptanz hervor. Dies gilt auch für die von Pusch so bezeichnete „Radikalversion des feministischen Kongruenzregel“ (S. 104). die sie in Form eines Merksatzes präsentiert:
Verwandle alle maskulinen Personenbezeichnungen in feminine, sofern sie sich in irgendeiner Form auf Frauen beziehen. Dies gilt auch dann, wenn die maskuline Personenbezeichnung nur Teil eines Wortes ist. (S. 104-105)
Ob nun radikal oder konsequent, angekommen ist diese Sprachverwendung noch nicht überall. 28 Jahre nach Erscheinen dieses Aufsatzes gibt es zwar schon einEn EmpfängerIn am Erlagschein aber die ArbeitnehmerInnenveranlagung beim Finanzamt noch nicht. „Nur Geduld!“ mögen vielleicht ein paar sagen aber nach fast 30 Jahren befindet sich der Geduldsfaden in der misslichen Lage bald zu reißen.

Dieser Vergleich zeigt, sprachlich gesehen hat die Gesellschaft schon einen großen Schritt getan. Leider finden sich aber noch immer unzählige Diskriminierungen, die – sprachlich verschleiert – die Gleichheit der Menschen weiter behindert. Puschs Wunsch nach Harmonie erweist sich noch als Traum und nicht als Realität.- Doch mit Hilfe der Sprache werden wir weiterhin diese Harmonie und Kongruenz einfordern und den Traum leben.

Alle Seitenangaben folgen Pusch, Luise F.: Frauen entpatrifizieren die Sprache. Feminisierungstendenzen im heutigen Deutsch. In: Das Deutsche als Männersprache. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1984. S. 76-108.

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